Traurige Rückrufbilanz

Rückrufaktionen

Bild: ZDK

Rückrufaktionen der Automobilindustrie hat es schon immer gegeben. Nicht dass sie zum Alltag der Hersteller gehören. Aber sie sind Fakt, schädigen das Image der Marken und sind kostenintensiv. Wer konstruiert und produziert wird jederzeit mit fehlerhaften Produkten rechnen müssen. Alles andere zu glauben, hieße die Augen vor der Realität zu verschließen.

Allerdings haben die Rückrufaktionen in der jüngeren Vergangenheit Dimensionen angenommen, die den Normalzustand deutlich übersteigen. Weltweit werden in den Vertragswerkstätten mittlerweile Millionen Fahrzeuge nachgebessert, die den Autobauern im Einzelfall unvorhersehbare Kosten bis zur Milliarden-Euro-Grenze bescheren können.

So rief GM seit Anfang des Jahres 6,3 Mio. Autos unter anderem wegen Problemen mit Servolenkungen und Zündschlössern zurück (geschätzte Kosten rund 940 Mio. Euro); Toyota startete kürzlich für rund 6,4 Mio. Fahrzeuge wieder einmal einen Massenrückruf, um an 27 Modellen technische Probleme unter anderem an Lenkungen, Zündschlössern und Elektrik-Kabeln zu beheben (geschätzte Kosten 600 Mio. Euro); und die VW AG bestellte Ende letzten Jahres 2,6 Mio. Autos ihrer Marken VW, Audi, Skoda und Seat in die Serviceorganisationen ein, auf Grund von notwendigen Reparaturen am Licht und möglicher Lecks an Kraftstoffleitungen.

Die Beispiele ließen sich endlos fortführen. Kein Hersteller hält sich in Sachen Rückrufaktionen schadlos. In den letzten 10 Jahren, 2004 – 2013, veranlassten die Hersteller allein in Deutschland jährlich zwischen sage und schreibe 123 und 186 Rückrufaktionen. Vermutlich ist die wahre Summe aller Nachbesserungen noch höher, da Fehler bei turnusgemäßen Werkstattbesuchen möglicherweise unauffällig gleich mit behoben wurden.

Anzahl der Rückrufaktionen von 2004 bis 2013

Quelle: Kraftfahrt Bundesamt
Linear betrachtet stiegen die Rückrufaktionen kontinuierlich an.

Noch bedenklicher ist die Anzahl der vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) überwachten Rückrufaktionen, die Teil sämtlicher Rückrufe und solche mit erheblichen technischen Mängeln sind. Sie bewegten sich im selben Zeitraum zwischen 28 und 117, wobei in 2013 mit 105 Fällen wieder ein recht hoher Wert erreicht wurde. Zum Hintergrund: Die Hersteller sind (eigentlich) gesetzlich verpflichtet, das KBA als nationale Produktsicherheitsbehörde für den Straßenfahrzeugbereich bei Verdacht auf mögliche Mängel zu informieren. Das KBA bewertet und wird gegebenenfalls tätig.

Mit Ruhm bekleckern sich die Hersteller hinsichtlich Rückrufaktionen also keineswegs. Sie stellen sich mit dieser traurigen Bilanz eher ein Armutszeugnis aus. Rechtfertigungsversuche für diese Mängel-Desaster gibt es etliche: Etwa dass die technische Komplexität beim Automobilbau steigt und die Entwicklungszyklen stetig kürzer werden. Oder in der Gleichteile- sowie Plattform-Strategie liegen die Gründe für die seit geraumer Zeit auftretenden Massenrückrufe, weil ein technischer Mangel in vielen Modellen millionenhafte Rückrufe bedeuten können. Rein rechnerisch mag letzteres, bezogen auf einzelne Aktionen zwar zutreffen, sie sind aber keineswegs für die unbegreifliche Anzahlhöhe der einzelnen Rückrufaktionen und schon gar nicht für den besorgniserregenden Anteil der sicherheitsgefährdenden, überwachten Rückrufe ausschlaggebend. Nein, das sind keine sachlichen und akzeptablen Erklärungen. Alle fadenscheinigen Begründungen sind nicht mehr als plumpe Ausreden.

Hier spiegelt sich eher ein grundsätzliches Qualitätsproblem wider, das die Automobilindustrie nicht in den Griff bekommt oder bekommen will. Denn auffällig ist, dass sich die Rückrufaktionen über die Jahre hinweg auf einem hohen Niveau bewegen. Wer ernsthaft eine positive Veränderung herbeiführen will, der muss doch endlich einmal anfangen, einen Trend zu weniger Rückrufaktionen, hin zu einem verträglichen Maß, einzuleiten. Aber das Gegenteil ist der Fall: In den letzten Jahren sind die Rückrufe linear betrachtet kontinuierlich gestiegen.

Wer böses denkt, der könnte den Herstellern unterstellen, sie hätten kein allzu großes Interesse, an der negativen Bilanz etwas zu ändern. Denkbar? Jedenfalls hält sich das Gerücht, dass die Autobauer ihre Kunden gern als verlängerte Entwicklungsabteilung betrachten, um durch echte Markttests und im Rahmen außerplanmäßiger und regulärer Werkstattbesuche so mancher Produktgruppe erst den qualitativen Feinschliff zu geben.

Autofahrer sind zu Recht über diese Umstände mehr als verärgert. Legen sie doch durchschnittlich mehrere 10 000 Euro auf den Tisch des Hauses und müssen zunehmend damit rechnen, technisch nicht einwandfreie, möglicherweise gar sicherheitsgefährdende „Ware“ zu erwerben. Sicherlich, wo gehobelt wird, fallen Späne. Das rechtfertigt aber lange noch nicht das jetzige Ausmaß der fehlerhaften Konstruktionen und Produktionen. Qualität war schon immer und ist erst recht bei der heutigen Wettbewerbssituation ein maßgeblicher Erfolgsfaktor. Sie darf Kostenzwängen und Wachstumszielen nicht untergeordnet werden. Sonst wird sich das rächen. Potentielle und Stamm-Kunden werden sich das auf Dauer nicht gefallen lassen.

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