Ausbildungsberufe des Kfz-Gewerbes noch attraktiv?

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Längst hat sich an der Ausbildungsfront die Situation zu Gunsten der Bewerber verändert. Nicht mehr der Nachwuchs muss um Lehrstellen buhlen, sondern die Unternehmen müssen sich ins Zeug legen, um ihre Ausbildungsplätze mit qualifizierten Auszubildenden besetzen zu können. Das ihnen dies immer weniger gelingt zeigt der Datenreport des Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) deutlich. So verzeichnete 2007 der Lehrstellenmarkt 19 500 offene Stellen, 2012 erhöhten sich die Leerbesetzungen um das 1,7fache auf rund 33 200. Eine traurige Bilanz, die noch schlechter ausfallen würde, hätte sich das Lehrstellenangebot nicht um 60 000 verringert. Nur „gut“ mag man rein rechnerisch meinen, dass sich gleichzeitig die Ausbildungsplatz-Nachfrage auch um zirka 90 000 reduziert hat. Sonst wären noch mehr junge Menschen ohne Beschäftigung und ohne berufliche Perspektiven. Als ernsthaftes Argument taugt diese arithmetische Betrachtung allerdings nicht. Allein unter dem Aspekt des Fachkräftemangels ist eine solche Reflexion absolut deplatziert. Immer weniger Ausbildungsplätze und immer weniger Lehrstellen-Bewerber, das ist eine fatale Entwicklung.

Vergleichsweise glimpflich kommt in dieser Misere bisher das Kfz-Gewerbe davon, das in der betrieblichen Ausbildung von je her gern als Vorzeigebranche genommen wird. Es kann sich rühmen, mit dem wichtigsten Autoberuf „Kfz-Mechatroniker“ immer noch an der Spitze der begehrtesten Lehrberufe bei Männern zu stehen. Positives auch bei den „Mechanikern für Karosserieinstandhaltungstechnik“ und „Autokauffrau/-mann“. Im Vergleich zum Vorjahr konnte hier die Anzahl der Ausbildungsverträge stabil gehalten bzw. sogar leicht erhöht werden. Aber bei aller womöglich aufkommenden Euphorie muss auch das Kfz-Gewerbe einräumen, dass es zum Teil erhebliche Probleme hat, den geeigneten und ausreichenden Nachwuchs zu rekrutieren. So bildet es 2007 insgesamt 95 552 Lehrlinge aus, 2012 nur noch rund 90 000. Tendenz abnehmend. Bemerkenswert daran ist zum einen der hohe Schwund an Auszubildenden, zum anderen aber auch der gleichzeitige Anstieg der Ausbildungsbetriebe von 25 700 auf 29 100 in 2011 (Hochrechnung). Zweifellos ist das Engagement der Betriebe sehr zu begrüssen und anderen Handwerkszweigen ans Herz gelegt. Im Klartext heißt das jedoch auch, durchschnittlich betrachtet verfügt jeder Ausbildungsbetrieb damit über weniger Lehrlinge, was die missliche Ausbildungssituation nochmals unterstreicht. Diese Unterbesetzung muss Sorgen bereiten, denn sie ist Indikator für einen sich noch weiter zuspitzenden Fachkräftemangel.

Diese prekäre Lage hauptsächlich mit dem demografischen Wandel und den damit einhergehenden sinkenden Schülerzahlen an Haupt-, Realschulen und Gymnasien sowie deren mangelnden Qualifikation zu begründen, ist zu einfach. Zugegeben, die Knappheit an Auszubildenden ist nicht wegzudiskutieren. So prognostiziert der Vizepräsident des Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK), Wilhelm Hülsdonk, dass künftig durchschnittlich rund 20 000 Schulabgänger jährlich weniger die allgemeinbildenden Schulen verlassen werden und dem Ausbildungsmarkt somit nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch die fehlenden Qualifikationen der Schüler sind Fakt, wie auch die steigenden Einstieghürden in die Berufe des Kfz-Gewerbes, die vor allem in der anspruchsvollen, komplexeren Automobiltechnik und den administrativen sowie prozesstechnischen Zusammenhängen begründeten sind.

Sicherlich, sie sind einer einfachen, erfolgreichen Auszubildenden-Rekrutierung nicht gerade förderlich. Aber sind diese Hemmnisse wirklich die Hauptgründe, warum es für das Kfz-Gewerbe zunehmend schwieriger wird, seine Lehrstellen zu besetzten. Oder verlieren die Lehrberufe und ihre Karriereaussichten an Attraktivität? Denkbar wäre das schon. Beispiel Kfz-Mechatroniker: Auch wenn er in der Öffentlichkeitsarbeit stets aufs Schild gehoben wird, so hatte er 2012 mit 20 000 nur einen Anteil von 3,6% an allen betrieblichen Ausbildungsverträgen (über 550 00). Irgendwie will nicht so recht einleuchten, warum sich nicht mehr für diesen Berufsgang begeistern lassen? Tatsache ist jedoch, dass sich die Werte und Einstellungen der heutigen Jugend u. a. zu Beruf bzw. Ausbildung und Freizeit merklich und unübersehbar geändert haben. Soll nicht heißen, dass sie negativer geprägt sind als ihre Vorgängergenerationen. Sie sind nur anders, aber keinesfalls unmotiviert. Sie möchten etwas leisten, fleißig und ehrgeizig sein. Sie sind dabei wählerisch und selbstbewusst. Sie betonen ihre Unabhängigkeit und Eigenverantwortung. Sie möchten flexibel bleiben, ihre eigenen Ziele verwirklichen und selbstbestimmt leben. Außerdem favorisieren sie eine gelebte Work-Life-Balance, also den Zustand, in dem Arbeits- und Privatleben miteinander in Einklang stehen. Dennoch erwarten sie individuelle, konkrete Karrierewege. Standard-Ausbildungsprogramme stufen sie als Relikte von gestern ein. Einseitige Denkweisen und Aussagen, wie „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ oder „wir erwarten“ und „wir setzen voraus“ sind dem heutigen potenziellen Nachwuchs fremd. Werden seine Erwartungen und Wünsche nicht erfüllt, fragt er nicht mehr länger, ob er die Ausbildungsstelle bekommen kann. Er lässt es dann einfach sein – der Job muss zu ihm passen. Setzen Betriebe weiterhin auf Werte der old economy und pflegen in ihren Ausschreibungen immer noch den gestrigen Duktus, werden sie auf lange Sicht Schiffbruch erleiden. Vielmehr müssen sie den Bewerbern das Gefühl geben, dass ihre Wünsche und Neigungen in der Ausbildung erfüllt werden. Dazu braucht es geeignete und attraktive Angebote, ausgerichtet auf die persönlichen Bedürfnisse der Jugendlichen.

Mit der neu geordneten und inhaltlich angepassten Ausbildungsordnung glaubt das Kfz-Gewerbe, hier auf dem richtigen Weg zu sein. Fachlich gesehen ist die Anpassung an die veränderten fahrzeugtechnischen und prozessorientierten Gegebenheiten unzweifelhaft richtig. Aber sind zusätzliche Ausbildung etwa an Hochvolttechnik und Arbeiten an Klimaanlagen sowie frühzeitiger Einbezug in Arbeitsprozessen des Kunden- bzw. Serviceauftrags wirklich die Schlüsselmerkmale für die Wünsche und Interessen der Schulabgänger? Wohl eher nicht. Hier scheint die rational begründete Reform, eher zu kurz zu greifen. Die Ausbildung braucht da schon durchgreifendere Reformen, die auch berücksichtigen, was die Jugend bewegt. Justieren an fachlich, sachlichen Stellschrauben reichen nicht aus. Unter dem Gesichtspunkt der Erwartung nach individuellen Karrierewegen wäre es z.B. äußerst sinnvoll, das Vorhaben mit Vehemenz weiter zu verfolgen, die berufliche Ausbildung, meinetwegen inhaltlich angereicherte, mit dem Abitur gleichzusetzen. Sich bei multidimensionalen, computergesteuerten, sicherheitsrelevanten Automobilkomponenten und (Kunden-) Management bzw. Kommunikationssystemen und Personalwesen auszukennen ist doch genauso wertvoll wie Platon und Kant zu interpretieren und zu verstehen! Oder?

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