Von CO2-Emissionen, freiwilligen Verpflichtungen
und Lippenbekenntnissen

Automobil CO2-Emission

Alle sind sich einig: Umweltschutz muss aktiv betrieben werden. Wenn es jedoch darum geht, seinen Beitrag dazu zu leisten, sieht das schon anders aus. Je nach Überzeugung und Interessenlage fällt das Engagement sehr unterschiedlich aus oder das Mitwirken wird gern nach dem St.-Florian-Prinzip auf andere verschoben. Ein Paradebeispiel dafür ist vor allem Deutschlands Automobilindustrie. Seit Jahren verfolgt sie in Sachen Reduzierung der Abgas-Emissionen eine erfolgreiche Verzögerungstaktik und lamentiert ständig über schärfere gesetzliche Grenzwerte. Sie seien zu ambitioniert, in der Umsetzung schlichtweg zu teuer oder nicht erreichbar. Außerdem benachteiligten sie die Hersteller von Pre­mi­um­mar­ken. Weiteres immer wiederkehrendes Argument ist der drohende Verlust von Arbeitsplätzen. Mit diesen Einschüchterungen haben sie bisher jede Bundesregierung in die Knie gezwungen. Die Automobilindustrie sollte sich schämen, mit ihren auf Profit ausgerichteten Argumenten einen notwendigen, klimagerechten Schutz ständig zu torpedieren. Das sie es damit nicht wirklich ernst meint, zeigt die Vergangenheit deutlich. 1998 hat sie sich freiwillig verpflichtet, bis 2008 den CO2-Ausstoß neu zugelassener Pkw auf durchschnittlich 140 g/km zu senken. Ein nicht erfülltes Versprechen, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat. Den CO2-Wert hat die Industrie nach Zahlen des KBA ab 1999 nämlich lediglich um 20 g/km auf 165 g/km gesenkt. Eine tolle Leistung innerhalb von 10 Jahren! Wie im Handbuch European Vehicle Market Statistics Pocketbook 2012 des unabhängige „International Council on Clean Transportation“ (ICCT) zudem ablesbar ist, haben vor allem deutsche Hersteller (wie Mercedes Benz, BMW, Audi und VW) frei nach Konrad Adenauer, was kümmert mich meint Geschwätz von gestern, in den Jahren 2002 – 2008 den CO2-Ausstoß neuer Pkw einstweilen sogar wieder erhöht. Alles in allem ist die Bilanz der Selbstverpflichtung der Autobauer deprimierend.

Der Versuch eines Szenarios ohne Berücksichtigung eventuell abgemeldeter Fahrzeuge soll das vertiefen. Die Parameter der Berechnungen für die Jahre 1999 bis 2008 sind:
• Neu zugelassene Pkw/Jahr
• Durchschnittliche Fahrleistung/Pkw und Jahr
• Mittelwert der CO2-Emission = 175,6 g/km
Unter diesen Größen belasteten alle neu zugelassenen Personenwagen (insgesamt 33,33 Mio.) das Klima mit durchschnittlich rund 294 Mio. t CO2. Hätte die Automobilindustrie kontinuierlich an der Reduzierung des Kohlenstoffdioxid gearbeitet und in den 10 Jahren den Ausstoß jährlich um nur 3,5 g/km gesenkt, wäre das Ziel von 140 g/km in 2008 erreicht und die Umwelt in diesem Zeitraum um ca. 45 Mio. t des Treibhausgases entlastet worden. Eine makellose Bilanz sieht anders aus. Übrigens gewichtsmäßig entspricht der Mehrausstoß etwa 22,5 Mio. Einheiten der heutigen Mercedes S-Klasse, die Daimler in dieser Höhe sicherlich liebend gern verkauft hätte. Dafür hätte der Konzern aber mehrere tausend Jahre gebraucht. Wie gesagt, eine hy­po­the­tische Betrachtung mit einigen Variablen, aber die Größenordnung dürfte nicht weit von der Realität abweichen.

Erst als die freiwillige Zusage der Industrie als Lippenbekenntnis entlarvt wurde und sie in der EU ins Kreuzfeuer der Kritik geriet, war es ihr auf einmal möglich, den Kraftstoffverbrauch und damit den CO2-Ausstoß zu senken. Vier Jahre später, 2012, hat sie ihr Versprechen dann fast eingelöst und die Emission im Mittelwert aller neuen Pkw auf 141,8 g/km herabgesetzt. Bis 2015 sollen sie dann 130 g/km realisieren. Ab 2012 zunächst nur für 65% der Neuwagen je Hersteller. Ein Jahr später müssen 75%, 2014 dann 80% und ab 2015 schließlich alle Neuwagen den Wert erfüllen. Mal sehen, ob die Autobauer das hinbekommen? Zweifel sind angebracht. Spannend wird sein, welche Hintertür sie wieder finden, um drohende Strafzahlungen zu vermeiden, die bei Normverfehlungen schon seit vergangenem Jahr fällig sind. Diese sind je nach den Überschreitungen in der Höhe gestaffelt. Erst ab 2019 gelten die vollen 95 € für jedes Gramm CO2/km, das zu hoch ausfällt. Von 2020 an sieht die neue EU-Gesetzesvorlage zur weiteren Reduzierung der Kohlenstoffdioxid-Belastung einen Grenzwert von 95 g/km vor. Allerdings soll bei den Zielvorgaben ein Bezug zur Fahrzeugmasse hergestellt werden. Heißt: Schwere Pkw dürften den Wert übertreffen, leichtere dagegen müssten ihn unterschreiten. Daimler z.B. hat laut “Institut der deutschen Wirtschaft” in Köln unter der Annahme eines konstanten Durchschnittsgewichts der Neuwagenflotte eine Zielvorgabe von 101 g/km, Fiat ohne Chrysler hingegen muss 87 g/km realisieren. Zudem können die Hersteller sogenannte Supercredits verrechnen. Das sind Boni für schadstoffarme Fahrzeuge, die den konventionellen Fahrzeugen per Rechentrick zu einer besseren CO2-Bilanz verhelfen. Jedes Auto, das weniger als 50 g/km des Treibhausgases ausstößt, zählt dabei gleich mehrfach. Trotz der Schlupflöcher und der legal anwendbaren Rechentricks geht der Automobilindustrie auch der 95er-Mittelgrenzwert zu weit, und sie protestiert mit alten Argumenten erneut gegen die EU-Pläne. Gewinnt dabei abermals die Hilfe von Merkel und Co., die zuvor das ursprüngliche EU-Vorhaben verwässert haben und nun die Verabschiedung der modifizierte Fassung verschieben ließen. Bravo, da haben Gejammere und Lobbyarbeit der Autobauer ihr Ziel wieder einmal nicht verfehlt.

Sieg auf ganzer Linie konnten sie auch vermelden, als sie die Absicht des Umweltausschusses des EU-Parlaments verhindert haben, ab 2017 den WLTP-Zyklus (Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure) vorzuschreiben. Mit ihm können nämlich unter kom­pa­ra­blen Bedingungen und mit identischen Messprozeduren weltweit vergleichbare CO2-Emissionen und Energieverbräuche festgestellt werden. Auch hier legten die deutschen Autohersteller ihr Veto ein. Sie plädieren nachdrücklich dafür am 1996 eingeführten und nun mittlerweile 17 Jahre alten NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) festzuhalten, weil sie befürchten, dass sonst die Flottenwerte steigen könnten. Vielleicht half auch hier ein Bittbrief von Matthias Wissmann, Präsident des Verband der Automobilindustrie (VDA), an die ehemalige Ka­bi­netts­kol­le­gin Angela Merkel. Denn, raten Sie mal, ja, die deutsche Bundesregierung hat auch diesen Plan vorläufig gestoppt!

Mal sehen, welchen Eifer die Lobbyisten zeigen, wenn es darum geht, strengere Grenzwerte für den Nutzfahrzeug-Sektor ins Gesetzbuch zu schreiben. Denn hier sprechen wir von ganz anderen CO2-Dimensionen. So ein Schwerlastwagen schluckt auf 100 km durchaus 30 l Diesel (oder mehr) und emittiert mit diesem Verbrauch nach dem Dekra-CO2-Rechner 
795 g Kohlenstoffdioxid/km. Bei einer angenommenen Jahresfahrleistung von 100 000 km pulvert er immerhin 79 500 kg CO2/Jahr in die Atmosphäre. Sollte die EU nach bisher ständigem Aushebeln und Verhindern erneut die Treibhausgas-Werte für Nutzfahrzeuge über 3,5 t ins Visier nehmen, dann weiß die Industrie ja um ihre politischen Verbündeten in Berlin. Zumal diese es mit der Beschränkung des Treibhausgases selbst nicht so genau nehmen. Wie die Hannoversche Allgemeine am 14.11.2012 berichtete, hat der Ältestenrat des Parlaments (selbstverpflichtend) 2009 beschlossen, dass die Fahrzeuge der Fahrbereitschaft ab 2010 nur noch 140 und ab 2012 nicht mehr als 120 g/km CO2 ausstoßen sollten. Eingehalten wurden die Vorgaben allerdings nicht, sodass das Gremium seinen Beschluss nun einfach wieder aufgehoben hat! Mal wieder ein Lippenbekenntnis in Sachen CO2, das sich nur in Worten, nicht aber in Taten äußerte.
Ja, ja, so ist das mit den freiwilligen Verpflichtungen.

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