Dass Wirtschaftsbände sich Gedanken darüber machen, wie sie ihren Mitgliedern zusätzliche Umsatzpotentiale erschließen können, ist ganz normal, legitim und wird von Verbandsangehörigen schlechthin geforderter. Nun folgen Überlegungen nicht immer Taten. Es liegt in der Natur der Interessenvertretungen, dass sie sich bei einer einheitlichen Meinungsfindung bisweilen äußerst schwer tun. Mitunter auch getrieben von Egoismus, Eitelkeiten und Eifersüchteleien lassen sich die unterschiedlichen Interessen einfach nicht auf einen Nenner bringen. Aussichtsreiche Ideen verschwinden so leider wieder in der Versenkung. Andererseits schaffen es Hardliner aber immer wieder ihre Positionen, unter Umständen auch undemokratisch, gegen Widerstände auf Biegen und Brechen durchzusetzen, selbst wenn sie nicht sinnhaft erscheinen.
Ein Beispiel dafür ist mehr oder weniger die Meister-HU, die von Teilen des deutschen Kfz-Gewerbes, an der Spitze von den Landesverbänden Bayern und Sachsen, mit aller Vehemenz gefordert wird. Andere Landesverbände und Innungen haben zu diesem Postulat eine differenzierte bis konträre Meinung, wie auch ein Gutteil der Mitgliedsbetriebe. Sie sind, laut Autohaus online, mit der bisherigen Vorgehensweise (sehr) zufrieden: Prüfen durch Überwachungsorganisationen und Reparatur durch das Kfz-Gewerbe. Damit sind sie in den letzten Jahren scheinbar gut gefahren.
Trotzdem hat der Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK) sich dazu entschieden bzw. treiben lassen, das Projekt Meister-HU anzugehen und zu realisieren. Warum nur? Um die wirtschaftliche Situation der Mitgliedsbetriebe zu verbessern? Vielleicht? Immerhin dokumentiert das KBA für 2011 insgesamt 26,4 Mio. Hauptuntersuchungen; davon rund 18,9 Mio Pkw-HU. Allein bei den Personenwagen ergab das bei einer Prüfgebühr von 60 € ein Gesamtvolumen von über 1 Mrd. €. Nach einer Forsa-Umfrage Anfang letzten Jahres wurden fast drei Viertel der HU in Betrieben des Kfz-Gewerbes von den Überwachern durchgeführt. Sie haben dort demnach über 750 Mio.€ erwirtschaftet, ohne dass die Partnerbetriebe davon direkt profitierten. Auch indirekt zogen sie daraus keinen finanziellen Nutzen, etwa durch eine Vergütung für die Bereitstellung der Werkstatt zur Durchführung der HU. Diese Kosten mussten die Partner der Überwacher tapfer schlucken.
Auf den ersten Blick nachvollziehbar, wenn hier Begehrlichkeit beim Kfz-Gewerbe aufkeimt. Aber kann die Aussicht auf Teile dieses Umsatzes das entscheidende Motive sein, mit der Meister-HU in direkte Konkurrenz zu den etablierten Prüforganisationen zu treten? Bei genauer Betrachtung relativiert sich das ein wenig. Nehmen wir an, 50% der über 30 000 AU-Betriebe, die heute schon hoheitliche Aufgaben übernehmen, entschieden sich, bei der Meister-HU teilzunehmen. Nehmen wir weiter an, sie stünden ebenfalls für 50% des Umsatzes, den die Überwacher mit ihren Partnerstützpunkten erzielen. Rein rechnerisch könnte dann jeder Betrieb im Mittel einen Mehrumsatz von 50 000 € im Jahr verbuchen. Ein eher leidlicher jährlicher Mehrumsatz, der aus den HU-Gebühren entstünde. Allerdings, wen wundert’s, fallen im Gegenzug natürlich auch Kosten an: Für zusätzliche Investitionen, etwa für weiter benötigte Prüf- und Messgeräte, für Qualifizierungsmaßnahmen der durchführenden Personen ect. Was bliebe dann unter dem Strich? Vermutlich nur bescheidene Erträge, die lediglich zu unwesentlich besseren Betriebsergebnissen beitrügen. Der materielle Nutzen aus den HU-Gebühren dürfte für den Verband allein kaum das entscheidende Motiv sein, die Meister-HU voranzutreiben.
Wenn allerdings berücksichtigt wird, dass die bis dahin autarke AU seit 2010 Bestandteil der HU geworden ist, dann sieht die Sache schon anders aus. Durch die zeitliche Zusammenlegung der einst eigenständigen Prüfungen ist es doch nun für jene Fahrzeughalter attraktiver und lukrativer, die direkt die Überwacherstationen ansteuern, dort gleich die komplette HU, also inkl. AU, abnehmen zu lassen. Sind die Überwacher zudem preislich attraktiver, gewinnen die Prüfstellen womöglich zusätzliche HU- und AU-Kandidat. Das kann nicht im Sinn des Kfz-Gewerbes sein. Einige Überwachungsorganisationen schert das nicht und versuchen, aus der veränderten Situation ihren Nutzen zu ziehen: Dumpingpreise bei der AU, Kombinationsrabatt von HU/AU und verstärkte Bewerbungen der HU für die hauseigenen Prüfstellen. Aber damit nicht genug: “Zunehmend”, so der Vize des ZDK Wilhelm Hülsdonk im »kfz-betrieb« Online-Interview, “werben die Prüforganisationen für Dienstleistungen, die dem Bereich des Kfz-Gewerbes zugeordnet sind.” Das führt zwangsläufig zu Spannungen zwischen Kfz-Gewerbe und Überwachern. Hülsdonk weiter: “Das zugesagte partnerschaftliche Miteinander wird aufgeweicht”. Als beiläufige Bemerkung ist das sicherlich nicht zu verstehen. Schließlich geht es hier um 11 Mio. AU-Prüfungen (2011) und mehrere 100 Mio. € AU-Gebühren sowie Attacken auf weitere Domänen des Kfz-Gewerbes.
Dessen ungeachtet bleiben die Gegner der Meister-HU innerhalb des Kfz-Gewerbes bei ihrem Standpunkt. Sie treibt die Sorge um ihr Image und plädieren bei der HU nach wie vor für das duale System. Sie möchten nicht in den Verdacht der Vorteilsnahme geraten, weil Prüfen und Reparieren in einer Hand liegen. Hier sei der Interessenkonflikt vorprogrammiert. Besser sei es, Schäden durch eine neutrale Instanz feststellen zu lassen. Das ergäbe klare und eindeutiger Chancen beim Reparatur-Verkauf. Dieser Standpunkt ist durchaus einleuchtend, denn der Kundendienst/Service ist und bleibt eine Sache des Vertrauens. Also ein subjektives, fragiles Gebilde, das schnell in Misstrauen umschlagen kann, wenn Werte wie Redlichkeit und Kompetenz angezweifelt werden. Nun stellt sich die Frage, keimen bei Kunden gegenüber der Meister-HU eher Zweifel auf als bei der ebenfalls im Verbund ausgeführten AU? Schwerlich zu sagen. Fest steht jedenfalls, dass die Kundschaft bei der Abgasuntersuchung (vormals ASU) diese Konstellation schon seit 1985 so gut wie vorbehaltlos akzeptiert. Allerdings sind Hauptuntersuchungen von einer anderen Güte und bei Kunden meist negativ im (Unter-)Bewusstsein verankert. Im Gegensatz zur AU sind sie gemeinhin mit Vorurteilen behaftet und lösen Unbehagen aus. Von daher ist die Meister-HU nicht unproblematisch und die Position der Gegner innerhalb des Verbandes absolut verständlich.
Spannend wird sein, wer sich bei der Meister-HU durchsetzen wird? Überwacher oder Kfz-Gewerbe? Aber ist eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung überhaupt notwendig? Ist es nicht erstrebenswerter, sich zusammenzuraufen, die Konflikte zu entflechten und eine einvernehmliche Lösung zu finden? Zumal die Akteure doch immer wieder betonen, dass sich das deutsche System der strikten Trennung bei der Hauptuntersuchung von Prüfen und Reparieren bewährt hat. Warum dann diese gegensätzliche Positionen? Natürlich müssen die Überwacher auf die kritisierten Punkte eingehen und in der Zusammenarbeit nachbessern. Es kann nicht sein, dass die (finanziellen) Vorteile einzig auf ihrer Seite liegen, und sie zudem partnerschaftliche Zusagen torpedieren. So trägt dieses Geschäftsmodell eindeutig Züge, des der Fahrzeughersteller. Und darauf kann das Kfz-Gewerbe gern verzichten. Dagegen sollte der Verband nochmals in sich gehen und überlegen, ob der risikobehaftete Konfrontationskurs die richtige Politik ist. Sollte letztlich die EU, auch auf Betreiben des ZDK, im Rahmen der Neuordnung der Fahrzeuguntersuchung den autorisierten Kfz-Betrieben die hoheitliche Aufgabe HU übertragen, wird ein ungesunder Konkurrenzkampf mit den Überwachern unausweichlich sein. Sie werden das Feld dem Kfz-Gewerbe nicht freiwillig überlassen. Ruinöser Gebührenwettbewerb bei HU und natürlich AU stünden ins Haus sowie weitere konkurrierende Dienstleistungsangebote. Und was hätten die betroffenen Kfz-Betriebe dagegenzusetzen, wenn sie denn dazu in der Lage wären? Nicht viel, ist zu befürchten. Vielleicht auf die Solidarität derjenigen, die weiterhin mit den Prüforganisationen zusammenarbeiten? Unwahrscheinlich, dieses Faustpfand existiert nicht wirklich. Erstens, weil die übrig gebliebenen Partner der Überwacher gegen die Meister-HU sind und zweitens, weil ihnen das Hemd näher ist als der Rock, also der persönliche Vorteil wichtiger ist als das Wir-Gefühl. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu oder spekulativ, sondern ein typisches, nicht ins Wanken zu bringende Verhaltensmuster innerhalb des Kfz-Gewerbes. Das sollte zu denken geben!